„Tu etwas, was du noch nie getan hast und schreibe darüber. Schreibe auch, wie du dich bei diesem Tun gefühlt hast."
Mit dieser Aufgabe ging Frau Treue vom letzten Schreibcafé nach Hause. Keine leichte Aufgabe, sollte sie etwa vom 10-Meter-Turm mit einem dreifachen Salto ins Wasser springen?
Nein, natürlich nicht, aber was dann?
Wie wäre es mit einem Besuch des türkischen Marktes am Maybach-Ufer?
Dort war Frau Treue noch nie in ihrem Leben.
Gesagt, getan. So einfach war es aber nicht; sie machte sich an einem Donnerstag auf den Weg, der Markt findet aber nur am Dienstag und am Freitag von 11 bis 18.30 Uhr statt.
Also ging sie ein zweites Mal los und hier ist ihr Bericht:
„Madam, hallo, lecker, lecker“ –
... „Madam, hallo, lecker, lecker", tönt es mir laut entgegen. Meine Umhängetasche zusätzlich fest mit beiden Händen an mich drückend, nähere ich mich dem Rufer. Köstlicher Duft von Basilikum, Dill und Minze steigt mir in die Nase. Meine Augen erblicken leuchtend buntes Obst und Gemüse. Rote Tomaten und Paprika neben grünen Gurken, Zucchini und Salat harmonieren mit zartem, weißem Blumenkohl, blauen Auberginen und gelben Pfifferlingen. Nicht zu übersehen sind hell- und dunkelrote Kirschen sowie aromatische Erdbeeren. Und immer wieder tönt es: „Madam, hallo, lecker, lecker". Fasziniert betrachte ich die farbenprächtigen Auslagen. Kaufen will ich nichts, nur schauen. Meine Augen schweifen von den freundlichen Händlern zu den bunt gemischten Käufern. Frauen mit Kopftüchern und bis auf die Knöchel fallenden Kleidern wählen eigenhändig Gurken, Salat und Kohl aus, die ihnen der Händler entgegenkommend in ihre Taschen und Beutel legt. Ihre Sprache verstehe ich nicht.
Das waren meine ersten Eindrücke beim Betreten des Wochenmarktes am Neuköllner Maybach-Ufer, im Volksmund „Türkenmarkt" genannt. Bisher hatte ich kein Verlangen nach ihm. Das Türkische ist mir fremd. Eingedenk der o.g. Aufgabe nahm ich mir vor, meine Abneigung zu überwinden und allein, ohne Begleitung, diesen besonderen Markt aufzusuchen.
Mit einer Mischung aus Skepsis und Neugier, sorgfältig meine Umhängetasche festhaltend, schlendere ich an den vielen Ständen entlang. Bei den farbenprächtigen, bunt gemusterten Stoffen, den Garnen und Knöpfen verweile ich etwas länger. Dann fesselt mich ein Stand mit appetitlich frischem Geflügelfleisch. Fast bin ich versucht, doch etwas zu kaufen. Einige Schritte weiter lockt ein Verkäufer mit Fisch, ebenfalls appetitlich frisch anzusehen: „Madam, lecker, lecker". Wieder bin ich versucht, etwas zu kaufen.
Auch diesmal schlendere ich schaulustig weiter.
Und dann kaufe ich doch. Keinen Fisch, kein Fleisch, kein Gemüse. Ich entdecke einen Stand, an dem pikante, scharfe, milde, cremige Brotaufstriche angeboten werden. Ich lese: Osmanischer Brotaufstrich, Knoblauch-Creme, toskanischer und französischer Brotaufstrich, Bulgur, scharf gefüllte Peperoni usw. Meine Nase nimmt ungewohnte Gerüche auf. Eine junge, mit türkischem Akzent sprechende Verkäuferin reicht verschiedene Häppchen zum Kosten in die wartende Menge, begleitet mit dem ermunternden „lecker, lecker, lecker". Auch ich bekomme kleine Proben. Sie schmecken unwiderstehlich. Vergessen ist mein Vorsatz, nichts zu kaufen.
Zufrieden trete ich mit einem kleinen Päckchen den Heimweg an. Ich werde bestimmt wiederkommen.
I.T.
Fotos: Ch. Matthée