Große Freude unter den Freunden, Kolleginnen und Kollegen im „RuDi" – ein übervolles Haus und lange Gespräche am Abend des 5. April als Barbara Thalheim hier ihre Ausstellung gemeinsam mit Marcus Schloussen (Bass) und Rüdiger Krause (Gitarre) mit einem Konzert eröffnete.
Und am 25. April dann gar: Der „RuDi" hatte es in das Feuilleton der „Junge Welt", diese „... linke, marxistisch orientierte, überregionale Tageszeitung mit einem hohen Anteil an Hintergrundberichten und umfassenden Analysen" geschafft. Die JW-Feuilletonistin beschrieb die Thalheim gut, endet fast mit einer kleinen Liebeserklärung.
Aber! Die Ausstellung: Oh Gott! „Lebenslauf" heiße sie und kein tabellarischer Lebenslauf führt durch die Räume und schlimmer noch: „So verteilt sich das Leben von Barbara Thalheim – oder zumindest ein kleiner authentischer Teil – auf Korridore und Arbeitsräume; als seien die Stückwerke vom ‚Lebenslauf' (so der Titel der Ausstellung) nichts als Dekoration und Wandbehang. Einen chronologischen Ablauf sucht man vergebens, ebenso eine inhaltlich-thematische Gliederung. Statt dessen herrscht die Konzeption des bunten Potpourris – es ist eben von der Thalheim, nur darum interessant." Lesen wir im Feuilleton.
Ein Glück, dass die Thalheim den nicht verbürgten, den unechten Teil ihres Lebens sozusagen, als nicht authenticus, der Ausstellung nicht beigesellte. Was wird es wohl sein, das nicht Authentische an ihrem Leben?
Auch die beste aller Feuilletonistinnen kann irren. Und so wollen es die Freunde der Verbesserung des Feuilletons offenbaren: Im „RuDi" hängen nicht „...allerlei Reliquien ihres Werdegangs aus ihrem Privatbesitz: Fotos, Plakate, Gemälde, Preise, Zeitungsartikel", sondern hier hängen Geschichten und Erinnerung an etwas, was nun Geschichte ist, z.B. an ein untergegangenes Land, an Konzerte darin und darüber hinaus und so zwangsläufig immer auch an deutsch-deutsche Geschichte. Und es hängt einiges aus der Zeit danach. Alles zusammen zeugt von Gradlinigkeit über die Epochen. Vielleich hat Barbara Thalheim aber auch Reliquien, wir wissen es nicht.
Wie widerspiegelten wir 40 Jahre Bühnen-Jubiläum? Das gelang so: CD- Cover, Plattenhüllen, Plakate und die zwei Filminstallationen: „Was mich ergreift" und „Ich bin zum Sehen geboren". Dazu überall unter der Rubrik „Künstlerfreunde" Zeichnungen, Grafiken, Gemälde, manchmal nach Konzerten überreicht, oft einem Thalheim-Lied oder einer Liedzeile gewidmet - in Bedeutungsgruppen geordnet. Und so sehen die Besucher über zwei Etagen in den Räumen und Fluren des „RuDi" die Ausstellung. Die Leute die nicht zur Ausstellung wollen, werden ihrer dennoch gewahr, weil sie zu den vielen unterschiedlichen Gruppen von Nutzern der Räume gehören, aller paar Stunden andere, auch an den Wochenenden und so lebt etwas Geschichte für eine gewisse Zeit im „RuDi" und macht sich am Lebenslauf der Barbara Thalheim fest. Klar, dass auch viele Fans kamen. Aber auch für den Fan-Rezipienten im Allgemeinen ergibt sich bestimmt der Genuss erst aus dem Besonderen, dem selbst Erlebten. Übrigens, gibt es im „RuDi" nur zwei Arbeitszimmer und darin hängt nichts; es sind ja Arbeitszimmer, darauf besteht man im „RuDi", höchstens in der Küche, aber das ist wieder eine andere Sache.
Eine der „Reliquien" aus dem Flur im Erdgeschoss übersenden wir dem Feuilleton der JW. An ihr wird deutlich, wie ein Presseartikel, es ist ein persönlich beleidigender, wie ihn der Autor auch für Christa Wolf veröffentlichen konnte, sich erst erschließt, wenn man sich den Autor daneben ein wenig vorzustellen vermag (was die Ausstellungsmacher im „RuDi" auch gern organisierten) und wieder führt es einen zurück in die Geschichte.
Ein Beispiel aus der zweiten Etage des „RuDi" sei kurz noch erwähnt: Nach einem Thalheim-Konzert wird gestiftet: Der Buxtehuder Kleinkunst-Igel! Eine Jury unabhängiger Bürger dieser selbständigen Gemeinde in der Hamburger Region löst sich damals 1980 prononciert vom politischen Alltags-Hickhack, applaudiert auch noch bei dem Bekenntnis der Thalheim ... Aber man lese selbst, was die Buxtehuder Jahre vor „einig Vaterland" schrieben. Auch Geschichte. Oder anderenorts: „Das bist nicht Du, das ist die Zeit" sagte die Thalheim über ihre Auftritte im Herbst 1989 jeden Abend vor tausenden von Menschen.
Was nun den „RuDi" anbetrifft, freuen wir uns dem Kollektiv der Jungen Welt den Bericht über das vergangene „RuDi"-Jahr zuleiten zu dürfen, aus dem deutlich wird, der „RuDi" sieht nicht nur „von außen toll aus." Die Feuilletonistin hatte richtig erkannt: „Am Eingang schwimmen witzige Plasteenten auf einem Mosaikbrunnen." Dann aber wird es düster im Feuilleton: "Drinnen bemerkt man: Die Hartz-IV Beratung bei selbstgedrehten Zigaretten ist das, worauf es hier ankommt. Die harte Realität der muffigen Gegenwart ist im „RuDi" daheim, und für Firlefanz wie gute Laune oder Frischluft gibt es nur wenig Verständnis."
Klar, dass sofort nach dem Studium des Dokumentes der Jungen Welt nach den Grundsätzen von Kritik und Selbstkritik allgemeines Lüften angesagt und gute Laune eingeübt wurde. Alle, auch die Nichtraucher, wollten aber diese Prophezeiung für die Junge Welt zur selbsterfüllenden machen und so entstand ein Gruppenbild mit Damen, das wir den Feuilletonistinnen und Feuilletonisten der Jungen Welt in tiefer Verbundenheit und unverbrüchlicher Freundschaft zueignen.
Am Rande sei noch bemerkt, es gibt sie tatsächlich die Hartz-IV Beratung. Seit der Eröffnung der Thalheim Ausstellung am 5. April wuchs die Zahl der Ratsuchenden von 5.339 auf 5.440. Leider wissen wir nicht, ob das etwas miteinander zu tun hat. Mietsachen, erhöhter Jobcenter-Mitwirkungsdruck, Ämterdickicht, aber auch drohende Obdachlosigkeit oder definitive Mittellosigkeit ... und fast immer konnte auch in diesen 101 Fällen geholfen werden. Den weitesten Weg wird in Kürze ein deutscher Mensch aus Nepal vor sich haben. Er möchte zurück in seine Heimat und traut sich die Einreise nur über den „RuDi" zu, denn er kommt mittellos und obdachlos.
Fazit: „RuDi" legt Wert auf die Feststellung: Die harte Realität ist eher vor dem antikapitalistisch-demokratischen Schutzwall, der (denkmalgeschützten) Mauer des „RuDi" daheim. Hinter der Mauer wird einem geholfen.
Frank Zielske und die Selbstdreher
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Eine Ausstellung von und über Barbara Thalheim im RuDi in Berlin-Friedrichshain