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Kultur- und Nachbarschaftszentrum


Der Geier wartet schon ...

In der Berliner Zeitung war am 24.10.11 zu lesen, dass immer mehr Rentner Hilfe vom Staat brauchen, weil ihre Rente nicht zum Leben reicht. Am 30.10.11 nahm sich die „Berliner Abendschau" dieses Themas an ... Die Tatsache, dass die Altersarmut zunimmt, ist keine neue Erscheinung. Sie begleitet uns doch bereits seit vielen Jahren und seit der Vereinigung der beiden deutschen Staaten hautnah. Meine Gedanken gleiten in vergangene Zeiten zurück...

... Rentner der ehemaligen DDR sind immer gerne von ihrem Ausflug nach „drüben" in ihr sozial gesichertes Leben zurückgekehrt. Ich richtete einmal die Frage an meine reiselustige Tante, die gern die Passierscheinregelung als Ost-Rentnerin in Anspruch nahm, weshalb sie eigentlich nicht im „goldenen Westen" bliebe? Ihre Antwort war eindeutig. „Hier habe ich soziale Sicherheit – zwar eine kleine Rente, aber damit kann ich überleben ohne auf ein Amt betteln zu gehen!" Auf diese Antwort war ich nicht gefasst. Ich war verblüfft, weil ich irgendwie eine andere Vorstellung von dem hatte, was sich da hinter der Mauer abspielte. Die bunten mitgebrachten Plastetüten mit den fremden, schön bunt verpackten Inhalten versprühten angenehme Düfte und luden die Sinne so schön zum Träumen ein. – Mir wurde klar, dass alles ein Trugschluss sein muss, dass alles nur ein schöner Schein ist und ein gewaltiges Missverhältnis zwischen den realen Tatsachen und den vorgegaukelten Eindrücken besteht! ... Dennoch war es irgendwie widersprüchlich...

Und richtig, nachdem ich mich nun seit über 20 Jahren selbst davon überzeugen kann, wie sich das „Rentner sein" im „goldenen Westen" gestaltet, schaue ich voller Bangen in die Zukunft. ... Arm im Alter: Immer mehr Rentner brauchen Hilfe vom Staat, weil ihr Geld zum Leben nicht reicht – ... lese ich täglich irgendwo und denke: „Was hat das mit den >blühenden Landschaften<, die uns von Dr. Kohl zur Wiedervereinigung versprochen wurden, zu tun?" – wenn nun doch unaufhaltsam die Schwingen der Geier zu spüren sind...

 

IMG 0079 2 Noch können einige Rentner sich ein
gemütliches Treffen im Club leisten.
Wie es zukünftig weiter geht, wissen
nur die Entscheidungsträger.

...Schon bald wird sich auch mein Arbeitsleben vollenden. Wenn ich Glück habe und das inzwischen um 5 Jahre verschobene Renteneintrittsalter erreiche, dann kann ich die wohlverdiente Altersrente mit 65 Jahren in Anspruch nehmen. – Nach über vierzig Arbeitsjahren! Natürlich nur die Ost-Rente, denn es wird ja noch immer strikt zwischen Ost- und Westrenten getrennt. Zu meinem Unglück hatte ich in den letzten Jahren die eisige Kralle des Kapitalismus zu spüren bekommen. Ich verlor unverschuldet meinen Arbeitsplatz – zu einer Zeit, wo man noch einmal hätte durchstarten wollen. Somit „verschlankten" sich meine einzuzahlenden Rentenversicherungsbeiträge rapide und verminderten ein angemessenes Leben im Ruhestand. Ich kann also heute schon sehr gut nachvollziehen, wie es sich anfühlt, den Euro genau anzusehen, bevor man ihn ausgibt...

Mir stellt sich die bange Frage, wie lange wird die staatlich festgelegte „Grundsicherung" noch greifen? Besonders unter den bestehenden Gegebenheiten, dass ständig an der „Finanzschraube" in vielen sozialen Bereichen nach unten hin gedreht wird. In Berlin ist derzeit jeder Zwanzigste von der Grundsicherung abhängig. Friedrichshain-Kreuzberg ist besonders hart von der Altersarmut betroffen, gefolgt vom Stadtbezirk Mitte. Hier leben, in verschiedenen Kiezen konzentriert, sehr viele Migranten. Sie hatten in jüngeren Jahren nur gering bezahlte Jobs, und hinzu kam noch, dass es meistens die Männer waren, die in den Familien für das Familieneinkommen sorgten.

 

P1040918 2  Mit leeren Taschen führt der
Weg nur zum Sozialamt ...

Auch in deutschen Familien sieht es nicht gut aus. Da sind es die Frauen, die dann stärker benachteiligt sind, wenn sie z. B. in jungen Jahren keine Beiträge zur Rentenversicherung eingezahlt haben oder wegen der Kinder nur verkürzt arbeiten konnten. Dennoch, man kann hin und her vergleichen wie man will, Fakt ist: Die sozial schwachen Bürgerinnen und Bürger, die in Arbeitslosigkeit geraten und ohne Job geblieben sind, sind zunehmend in der Mehrzahl – und somit jene, die der Altersarmut am Nächsten stehen. Im Alter in Menschenwürde leben – das erfüllt sich für viele in Deutschland lebende Menschen nicht. Das gesetzliche Renteneintrittsalter steigt immer weiter an. Reichen dann die körperlichen Kräfte aus, um eine vorausgesagte Lebenserwartung – z.B. für Frauen von ca. 82 Jahren – noch zu erreichen?

Vielerorts versuchen die bezirklichen Begegnungsstätten und kirchlichen Suppenküchen mit engagiertem, ehrenamtlichem Einsatz, die sozialen Notsituationen in unserer Stadt zu lindern. Es kann aber nicht zum Standard werden, dass bestehende Notlagen unter der Bevölkerung überwiegend durch Ehrenamt und Spenden gemildert werden. Hier ist das richtige Handeln der Regierung gefordert!

Manch einem gelingt es auch durch einen kleinen Nebenjob, zur Rente etwas dazu zu verdienen. Der sich 1966 gegründete Verein „Tätiger Lebensabend e.V." bemüht sich um die Vermittlung von altersgerechten Arbeitsplätzen in Museen und Seniorenheimen. Zunehmend müssen Rentner und Rentnerinnen auf diese Angebote zurückgreifen, besonders wenn sie vor dem Renteneintritt von Arbeitslosigkeit betroffen waren. ...Und was macht der Geier?

Ihre

Regina Wunderlich

Fotos: gabra